Scharfrichter-Info

Henker, Scharfrichter, Schinder

Mit der Festigung von Staaten und dem Ausbau der Gesetze entstanden auch in der Rechtsprechung mit der Institution des Gerichtes feste Funktionsstellen wie das Richteramt. Besonders ist hierbei aber auch das Henkeramt als die vom Staat eingesetzte Straf- und Abschreckungsinstanz zu nennen. Gerade die Strafvollstreckung verstand man im Verlauf der Geschichte immer mehr als Angelegenheit der Obrigkeit, die hierfür “Spezialisten” anstellte. Die ersten Angehörigen dieses Berufsstandes gab es bereits vor ca. 5.000 Jahren in dem ersten hochentwickelten chinesischen Reich. 

 

Im deutschen Sprachbereich wurden die ersten urkundlich genannten Vollstrecker von Körperstrafen im 12. Jahrhundert als “Wizener” (althochdeutsch: “der Strafende”) genannt. Der erste eigentliche Scharfrichter wurde im Jahre 1276 in Augsburg erwähnt. Das Augsburger Stadtbuch nannte neben der Bezeichnung des Scharfrichters auch seine Aufgaben und die soziale Stellung in der mittelalterlichen Gesellschaftsordnung der Stadt Augsburg.

 

Teufels-, Dämonenfratze über dem Torbogen des Scharfrichterhauses in Groß-Gerau

Er trug den aus dem alten Rom bekannten Titel “Carnifex” und war neben dem Stafvollzug in Form von genau festgelegten Foltermethoden (z. B. Daumenschrauben anlegen oder Zungen herausreißen) und Exekutionen (Köpfen, Hängen, Verbrennen etc.) auch weiterhin für die Kloakenreinigung, das Hundefangen, die Prostituiertenaufsicht usw. verantwortlich. Wie bei den Römern übertrug man auch in Augsburg und anderen mittelalterlichen Städten dem Scharfrichter die unangenehmsten Arbeiten, die andere Bürger nicht verrichten wollten.

Die Namen für dieses anrüchige, blutige und auch gefürchtete Handwerk waren im weiteren Verlauf der Geschichte sehr vielfältig wie kaum bei einer anderen Profession. Neben den bis ins Mittelalter verwendeten antiken Bezeichnungen Carnifex und Liktor sowie dem allseits bekannten Henker gab es u. a. folgende Bezeichnungen:

 

Scharfrichter, Nachrichter, Faustrichter, Wasenmeister, Weiziger, Stocker, Züchtiger, Schinder, Meister Fix, Meister Hans, Enthaupter. Im alten Frankreich nannte man die Pariser Scharfrichter “Monsieur de Paris” oder “Monsieur de France”. Selbst im weit entfernten Japan, einem Land, das im Verlauf seiner Geschichte unzählige blutige interne Kriege und Streitigkeiten erdulden musste und das sich jahrhundertelang fast völlig von der übrigen Welt abgeschottet hatte, mussten von der übrigen Gesellschaft Ausgestoßene, die sog. “hinin” auf den Richtstätten ihren Lebensunterhalt bestreiten.



Aufgaben des Scharfrichters

Der Aufgabenkatalog der mittelalterlichen Vollstrecker deckte sich in fast allen Fällen mit dem Augsburger Aufgabenkatalog. Zum einen fanden sich selbst im scheinbar so finsteren Mittelalter kaum genügend freiwillige Helfer, um die bereits genannten unangenehmen Arbeiten, die mit einer gesellschaftlichen Ächtung behaftet waren, bewältigen zu können. Zum anderen hatte selbst ein Henker in diesen rohen Zeiten nicht täglich zu foltern oder gar zu richten. Eine Zusammenfassung von Paria-Tätigkeiten bot sich da schon wie selbstverständlich an. Auch die Entlohnung spielte hierbei eine wichtige Rolle. Die damaligen Hüter der öffentlichen Finanzen waren nämlich sehr darauf bedacht, dass der Henker die Kassen so gering wie möglich belastete bzw. sogar noch Gewinn in Form von Abgaben erbrachte.

Während der mittelalterliche Augsburger Scharfrichter noch in Anlehnung an das altgermanische Recht vom Kläger für die quasi stellvertretend ausgeübte Vollstreckung des gerichtlich gefällten Todesurteils bezahlt werden musste , änderte sich dies schnell im weiteren Verlauf der Geschichte.

 

Wie schon im ersten Kapitel erwähnt, wurde die Strafverfolgung mit der wachsenden Bevölkerung und einer ständig verfeinerten staatlichen Administration zu öffentlichem Interesse. Die Stellung der Kläger in Strafprozessen schwächte sich ab, allerdings konnten sie im Gegenzug auch nicht mehr für die Kostenübernahme der Strafvollstreckungen herangezogen werden. 

In der Regel war die Scharfrichterei lizenziert. Pro Bezirk konnte es nur einen Scharfrichter geben. Erst wenn dieser verstarb, sich zur Ruhe setzte oder des Amtes enthoben wurde, konnte ein Nachfolger das Meisteramt übernehmen. Dabei heiratete er entweder die Scharfrichterwitwe oder er musste sich das Amt erkaufen. 

 

Der Scharfrichter war zwar Angehöriger des frühen öffentlichen Dienstes, er bezog aber sehr oft kein monatliches oder jährliches Festeinkommen (was es aber auch nur in wenigen Fällen gab!), sondern wurde für die jeweils ausgeübte Verrichtung bezahlt. So musste oft eine Scharfrichterei von den Einkünften der anderen Arbeiten leben. In der Wasenmeisterei (Abdeckerei) erbrachte das Häuten (Schinden) von verendetem Viehe gutes Geld, da besonders die Häute, aber auch die Hörner, die Knochen oder gar Rosshaare weiter verarbeitet wurden.

Häute waren der Grundstoff für Leder und Leder war in den vergangenen Jahrhunderten ein äußerst wichtiger Rohstoff. Hier konnte es aber vorkommen, dass die Städte bei besonders produktiven Scharfrichtern eine Abgabe in Form von Geld oder Leder bzw. Lederwaren wie beispielsweise lederne Feuereimer zur Brandbekämpfung einforderten. 

Die Kölner Scharfrichter des späten Mittelalters waren beispielsweise auch städtische Dirnenaufseher und mussten für diese Tätigkeit von diesen mit einem Drittel ihrer Einkünfte in Geld oder in Wein entlohnt werden. Hundefängerei und die Straßenreinigung gehörten oftmals ebenfalls zum Tätigkeitsbereich einer Scharfrichterei. Straßenreinigung im Mittelalter und früher Neuzeit war keine leichte Tätigkeit mit Besen und Schippe, sondern eine Beseitigung von bergeweisen Exkrementen und Abfällen aller Art einschließlich toter Haustiere, die von den Anwohnern einfach auf die Straße “entsorgt” wurden. Durch diese massiven Verunreinigungen kam es immer wieder zu Epidemien, da die Menschen meist noch nicht die Konsequenzen ihres Handelns richtig einordnen konnten.

 

Bei Hinrichtungen erhielt der Scharfrichter einen festgelegten Lohn. Zusätzlich durfte er in vielen Fällen die Kleidung bzw. die am Körper des Delinquenten befindlichen Wertgegenstände (z. B. Schmuck) zumindest in Teilen behalten. Durch die Veräußerung dieser Sachen ergaben sich ebenfalls notwendige Nebeneinkünfte.

 

Die Scharfrichterei war, zynisch ausgedrückt, ein Dienstleistungsbetrieb, der die Gesellschaft vom Unangenehmen befreite, sei es im Strafvollzug, in der Kloakenreinigung oder in der Abdeckerei. Alleine konnte der Scharfrichter diese Tätigkeiten nicht verrichten. Er benötigte Mitarbeiter, für dessen Entlohnung er und nicht die Obrigkeit aufzukommen hatte


Folgende Kostenaufstellung für seine Tätigkeit stammt vom Bessunger Scharfrichter:

  • Einen Malefikanten in Öl zu sieden 24 Gulden
  • Einen Lebendigen zu vierteilen 15 Gulden 30 Kreuzer
  • Eine Person mit dem Schwerte hinzurichten vom Leben zum Tode 10 Gulden
  • Sodann den Körper aufs Rad zu legen 5 Gulden
  • desgleichen vom Kopfe auf Spitzen zu stecken 5 Gulden
  • Einen Menschen zu vier Teilen zu zerreißen 18 Gulden
  • Einen Menschen oder Deliquenten zu henken 10 Gulden
  • Den Körper zu vergraben 1 Gulden
  • Einen Mensch lebendig spießen 12 Gulden
  • Eine Hexe lebendig zu verbrennen 14 Gulden
  • Bei einer Tortur aufzuwarten, so berufen wird 2 Gulden 30 Heller
  • Von einem spanischen Stiefel anzulegen 2 Gulden 30 Heller
  • Einen Delinquenten , so in der Folter gezogen wird 5 Gulden
  • Von einer Person ins Halseisen zu stellen 1 Gulden 30 Kreuzer
  • Einen mit Ruten ausstreichen 3 Gulden 30 Kreuzer
  • Den Galgen auf den Rücken zu brennen oder auf die Stirn oder Backen 5 Gulden
  • Einer Person Ohren und Nase abzuschneiden 5 Gulden
  • Einer Person Land und Ort zu verweisen 1 Gulden 30 Kreuzer

Der Scharfrichter und seine Gehilfen

Wie in der übrigen ständisch geprägten Gesellschaft des Feudalismus gab es zwar keine Henkerszünfte, aber es existierte sogar in diesem Randbereich eine berufliche Hierarchie . An der Spitze stand der Scharfrichter. Er war der Meister und Chef der Scharfrichterei. Er führte ausschließlich die sehr schwierigen Enthauptungen mit dem Schwert durch, wirkte teilweise bei Hinrichtungen mit anderen Techniken mit und übte meist dabei wie bei den Folterungen die Aufsicht aus. Meister konnte man nur nach langer Lehrzeit und Gesellentätigkeit werden. Das formvollendete, fehlerfreie und freihändige Köpfen mit dem Schwert in einem Schwung war mehr oder weniger die Meisterprüfung, die nicht jedem gelang. Das Verfahren war schwierig, die Delinquenten mussten sich knien , während ein Gehilfe die sich bewegenden Köpfe der in Angst und Entsetzen befindlichen Menschen halten und hoffen musste , dass sein Arm nicht ebenfalls beim Streich durchtrennt wurde. Zur praktischeren Umsetzung setzte man daher in der letzten Phase der Exekution mit dem Schwert im 19. Jahrhundert Hinrichtungsstühle ein, auf die die Verurteilten gesetzt und bewegungsunfähig festgezurrt wurden.

Einen Rang niedriger agierten die Meistergesellen, die selbst aus Scharfrichterfamilien stammten und in der Regel nach langer Gesellenzeit später selbst eine Scharfrichterei als Meister übernahmen. Diese Gesellen nahmen alle Hinrichtungen ohne den Einsatz des Schwertes vor und führten Folterungen durch.

 

Die unterste Stufe der Rangordnung belegten die Schinder- und Abdeckerknechte. Sie waren für die Abdeckerei zuständig und reinigten die Kloaken. Sie halfen beim Foltern oder bei Hinrichtungen und mussten hinterher die Spuren derselben beseitigen; kurzum sie mussten die unangenehmsten Arbeiten eines unangenehmen Standes verrichten. 


Die Stellung des Scharfrichters

Die Person des Scharfrichters war immer mit der Aura des Geheimnisvollen und Schauerlichen umgeben. Er war der einzige, der keine Konsequenzen befürchten musste , wenn er die ihm überstellten Menschen tötete. Gerade in Zeiten, wo der Aberglaube weit verbreitet war, machte man einen großen Bogen um jemand, der besondere Rechte besaß und dabei mit Gevatter Tod ein zu enges Verhältnis einging. Er galt oft als Sadist und grober Mensch, der mit den ihm ausgelieferten Geschöpfen keinerlei Mitleid besaß. Somit stand er außerhalb der Gesellschaft. Aus heutiger Sicht erscheint dies merkwürdig, weil die breite Masse der Menschen des Altertums, des Mittelalters, der frühen Neuzeit und sogar von heute Hinrichtungen eher befürwortete. Wenn diese zudem öffentlich durchgeführt wurden, erinnerten sie bis in unser Jahrhundert eher an Volksfeste für alle Klassen und Altersstufen. Hier fanden sich Getränke- und Essenverkäufer, Hausbesitzer vermieteten neben teueren Fensterplätzen sogar ihre Dachflächen und Schornsteine mit garantiertem Blick auf das Schafott, während gewissermaßen als “Vorprogramm” zum eigentlichen Ereignis Musikanten und Gaukler aufspielten sowie Moritatensänger nochmals den Lebenslauf der Delinquenten in Erinnerung brachten.

Alle Angehörigen der Scharfrichterei waren “unehrlich”, d. h. sie waren im Gegensatz zur restlichen “ehrlichen” oder ehrbaren Gesellschaft mit Pariaarbeiten befasst . Unehrlichkeit war so mit Makel und Abscheu behaftet, dass es großen formalen Aufwandes durch Obrigkeit und zuweilen auch durch die Kirche bedurfte, um einen Unehrlichen, der abseits der Gesellschaft stand, für ehrlich zu erklären. Er wurde erst durch solch eine Amtshandlung vom offiziellen Außenseiterdasein befreit und zählte danach wieder als vollwertiges Mitglied der “ehrbaren” Bürgerschaft. 

Auch das räumliche Absondern der Scharfrichterei wurde, wie bereits schon im Altertum, in vielen Orten praktiziert. Die Unterkünfte der Scharfrichter lagen oft entweder vor den Stadttoren oder innerhalb der Mauern in abgelegenen Winkeln. In etlichen Fällen durften sie keinen eigenen Grundbesitz erwerben und mussten Amtswohnungen beziehen. Selbst nach dem Tod wollte niemand einen Scharfrichter beerdigen. 

 

So bildeten die Scharfrichter eine eigene Kaste, in der allein sie Ehepartner finden konnten. Betrachtet man einmal die Stammbäume der klassischen europäischen Scharfrichterfamilien, dann bemerkt man sofort, dass fast alle Sippen miteinander verwandt und verschwägert waren. 

Es gab auch Bestrebungen, sich wie die Handwerker in anerkannten zunftähnlichen Verbänden zu organisieren. Im Jahre 1459 beispielsweise war in Breslau ein Gründungstreffen anberaumt, zu dem 14 auswärtige Scharfrichtermeister anreisten. Den Bürgern war allerdings dieses Treffen sehr suspekt und sie drängten den Stadtrat, die Versammlung auszulösen und die 14 fremden Scharfrichter aus der Stadt zu weisen. Aber es hat immer wieder Treffen gegeben, allein schon aus den verwandtschaftlichen Banden heraus. So entwickelte sich wie bei den Zünften eine eigene Fachsprache. Foltern nannte man “vernünftig die Glieder versetzen”, das Hängen wurde mit “einen Knoten schlagen” bezeichnet und mit “rasch absetzen” war das Köpfen gemeint. Misslang das Köpfen, sprach man vom “Putzen”.

Die Blütezeit (wenn man das überhaupt so nennen kann) der Henker, Scharfrichter und Menschenschinder war der Zeitraum vom 15. Jahrhundert bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts. Dieser Zeitabschnitt umfasst die großen geschichtlichen Umbrüche, die sich in den Bauernkriegen, den religiösen Auseinandersetzungen mit Reformation, Gegenreformation und Dreißigjährigem Krieg, der Inquisition und den schlimmen Hexenverfolgungen widerspiegelten. 

 

In welchem Jahr ein Scharfrichter zum ersten Mal in Groß-Gerau ein gefälltes Todesurteil vollstreckte, entzieht sich unserer Kenntnis. Fest steht aber, dass die Grundlage seines Handelns immer eine gerichtliche Entscheidung nach dem Entwicklungsstand der Rechtskunde der jeweiligen Zeit war. Wie stand es aber um diese frühe Justiz gerade im Zusammenhang mit den Todesurteilen und wie entwickelte sie sich im Verlauf der Geschichte weiter?


Strafen

Ein Scharfrichter konnte bei der Vollstreckung nicht nach eigenem Belieben unter den Methoden auswählen, sondern er war an die im Urteil festgelegten Vorgaben gebunden, die besonders im Mittelalter, aber auch noch in der frühen Neuzeit Symbolcharakter besitzen konnten, man bezeichnet diese auch ”spiegelnde Strafen”. Beispielsweise starben Brandstifter auf dem Scheiterhaufen, Dieben wurde die Hand abgehackt, mit der sie die Diebstähle begannen. Falschmünzer wurden in siedendes Öl versenkt, bzw. gekocht oder damit übergossen. Sie mussten also so ähnlich sterben, wie sie ihr Handwerk ausübten, nämlich dem „Sieden falscher Münzen“ Hierbei werden minderwertige Kupfermünzen in flüssig heißem Silbersud geschwenkt, so dass sie eine silberne Oberfläche erhalten und wie echte Silbermünzen aussehen. 

Die peinliche Halsgerichtsordnung für das Deutsche Reich von Kaiser Karl V. aus dem Jahre 1532, die sog. „Carolina“, war trotz der darin festgelegten Strafen ein Reformwerk und fasste sieben Todesstrafen zusammen, die jeweils bei genau bestimmten Vergehen nach genauer Beschreibung angewendet werden sollten: 

 

Verbrennen 

bei Brandstiftern, Ketzern, Kirchenräubern, Sodomisten, Hexen und Zauberern

Enthauptungen mit dem Schwert

bei Landfriedensbrechern, Aufrührern, Räubern, Totschlägern, Notzüchtern und Abtreibern

Erhängen

bei Einbrechern und rückfälligen Dieben

Rädern

bei Mördern und Giftmischern

Ertränken

bei Kindsmörderinnen

Lebendig vergraben bzw. Pfählen

bei Kindsmörderinnen, wenn das Ertränken mangels Möglichkeit nicht durchführbar ist

Vierteilen

bei Verrätern

 

Diese Strafen konnten auf dem Weg zur Hinrichtung und vor dem Vollzug noch durch Foltern wie Auspeitschen, Anwendung von glühenden Zangen oder dem Abhauen von Gliedmaßen verschärft werden. Als Zeichen der Erniedrigung konnten die Verurteilten auch auf Viehhäuten zur Exekution geschleift werden.

Neben den Todesstrafen gab es noch eine ganze Reihe niedere Strafen wie Verwarnungen, Geldstrafen, Pranger stehen, Schandmasken oder Schandgegenstände tragen, Auspeitschen, Brandmarken, Abschneiden von Nasen, Ohren, Zungen, und Händen, Abhacken von Armen, Landesverweis, Urfehde schwören (Urfehde schwören war ein formelles Verfahren, bei dem man angeklagte Personen, die trotz angewandter Folter sich nicht zur bezichtigten Tat bekennen wollten und die durch Zeugen oder Indizien nicht überführbar waren, schwören ließ, dass sie sich nicht am Gericht rächen wollen und keine Gegenklage führen werden. Sicherheitshalber wurden diese Personen nach dem Verfahren aus dem Land gewiesen, da sich die Gerichte nie sicher fühlten.


Die Folter

Die „peinliche Befragung” von Tatverdächtigen durch den Scharfrichter während der Verhöre wurde ebenso wie die Hinrichtungsarten neu geordnet und in die gerichtliche Vernehmungen aufgenommen. Amtlich verordnete Folter zur Erzwingung von Geständnissen dürfte es schon immer gegeben haben. Festgeschrieben wurde sie aber erstmals im 13. Jahrhundert im „Schwabenspiegel” und fand so nachfolgend Verbreitung in viele örtliche Weistümer. Die „Carolina” beschreibt drei Stufen der Anwendung und versuchte hier ebenfalls zaghaft, die willkürliche Praxis in geregelte Bahnen zu leiten.

Die erste Stufe der „peinlichen Befragung” bestand darin, dass man der im Verhör befindlichen Person die Folterwerkzeuge vorführte und ihre Wirkungsweise erläuterte. War das Verhör oder die Befragung hinterher nach Meinung des Gerichtes immer noch unbefriedigend, wurde die zweite Stufe angewendet, d. h. Folter mit gleichzeitigem stundenlangem Verhör begann. Die dritte, schärfste Stufe war die zusätzliche Anwendung von beispielsweise Zwicken mit glühenden Zangen und brennenden Pechhölzern zum Hautansengen oder dem mengeweisen Einflößen von Wasser. Unter diesen viehischen Quälereien gestanden die meisten Gefolterten alles , was man ihnen vorwarf. Im Zweifelsfall wurde das Martern wiederholt. Das anschließende Todesurteil musste wohl ihnen wie eine Erlösung vorkommen. Oft verstarben aber auch die Folteropfer. Nur sehr wenige überstanden diese Torturen. In Hessen-Darmstadt wurde die Folter im Jahre 1771 abgeschafft.


Groß-Gerauer Fälle

Die erste urkundlich festgehaltene Hinrichtung in Groß-Gerau erfolgte im Jahre 1461 und die Eintragung hierüber besagt folgendes:

„Ist uff hude donnerstag nach sancti Egidien tage anne MCCCCLXI lantgericht zu Gerauwe gehalten. Hait man Kete Schribers Dochder von Stedden lebenyng begraben !”

In unsere heutige Sprache übersetzt lautet die lakonische Eintragung:

„Heute am Donnerstag nach Sankt Egidien (03.09.1461) im Jahre 1461 wurde zu Gerau Landgericht gehalten. Man hat Käthe, die Tochter des Schreibers von Wallerstädten lebendig begraben ! ”

Was hat sich die Wallerstädterin zuschulde kommen lassen, dass man an ihr eines der grauenvollsten Tötungsarten vollzog? Hierüber schweigt das Protokoll. Die Strafe des Lebendigbegrabens wurde als typische Frauenstrafe an Ehebrecherinnen, Kindsmörderinnen, aber auch Diebinnen und in Fällen der Blutschande vollstreckt. Zum hier genannten Fall, den mein Vater Ernst Schneider im „Heimatspiegel” Nr. 4/1966 veröffentlichte, berichtete er weiter, da er annahm, die sterblichen Überreste der Verurteilten entdeckt zu haben: 

„Kaum 40 Zentimeter vom Galgenplatz entfernt, dicht am Rand des ehemaligen Weges, der zum Hochgericht führte, entdeckte ich in einem Meter Tiefe das Skelett einer jungen Frau. Sie lag gekrümmt auf den Knien, das Gesicht dem Boden zugewandt, auf die angewinkelten Arme gebettet. Weder Nadel, noch Schließe, noch Knopf trug die Tote bei sich, als ich sie am 20.10.1961 im Schein der untergehenden Sonne ans Licht hob.”

 

Im nächstältesten Urteil vom 09.05.1463 wurden zwei Diebe, „der Odenwalt und der Ketter Stullen, vom Leben mit dem Strange zum Tod” verurteilt. Das Hängen war eine entehrende Strafe im Gegensatz zum Köpfen. Beim Hängen war man im Todeskampf lange den neugierigen Blicken der Anwesenden ausgesetzt, der Tod trat oft langsam und grausam ein. Oftmals wurden die Verurteilten nackt oder im Hemd aufgeknüpft und die Körper blieben bis zur Verwesung hängen. Strafverschärfend hängte man gleichzeitig Hunde mit auf, die sich verzweifelt in die Körper der Verurteilten verbissen. Das Hängen war die klassische Bestrafung für die Diebe. 1470 wurden hier auf dem Galgenberg jeweils zwei Diebe, Hans Schwarz und Klaus Michels, gehängt, 1482 waren es deren drei.

 

Vom 11. Oktober 1584 ist einer der sehr raren kompletten Urteilstexte erhalten:

„Urtheil Eobalts (Ewald) Schmitt von Geinßheim als vorgestellten Beclagten. Uff Fürstlichen Fiscales vorbeschehne Peinliche anclage / Auch des beclagten eingewandte Antwort und alles Gerichtliches vorbringen / So alles nach lauth Kayserlichen beschriebenen Rechten und unseres gnedigen Fürsten und Herrn Landtsordnung beschehen / Ist durch die Urtheiler und Scheffen dieses Löblichen Halßgerichtes zu Recht erkandt / Das gegenwärtiger vorgestellter Eobalt Schmit, Peinlicher beclagter seiner Mißhandlung, Ehebruchs, Blutschanden und Dipstahls halben welches er selbst vor Gericht gestanden / Deßwegen mit dem Schwert vom Leben zum Tode soll hingerichtet werden / Alles zu gnaden beschehen / Undt soll sein Leib nach solchem ufs Radt gelegt werden / Befehlen alßo seine Seel uf Rewe (Reue) in Gottes gnaden und Handt. Amen.“

In diesem Urteil wird deutlich, dass damals die Strafe des Köpfens noch mit dem Rad verschärft werden konnte. Geköpfte wurden sofort begraben, während man die aufs Rad geflochtenen Körper dort wie am Galgen der Bloßstellung und der Verwesung überließ.

Eine kurze Zeit der Hexenverfolgungen erlebte auch das protestantische Hessen-Darmstadt unter dem sehr religiösen Landgrafen Georg I. Nach Aktenlage in den Archiven wurden zwischen 1582 und 1590 29 vermeintliche Hexen in Darmstadt nach entwürdigender und grausamer Folter und Malefixgericht zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt und lebendig verbrannt. Die Groß-Gerauer Scharfrichter aus der Molter-Familie leiteten die meisten Verbrennungen. Ihre Kollegen in den katholischen Nachbargebieten mussten in diesen Zeiten des Hexenwahns dagegen sehr viel häufiger ihr grausames Amt ausüben. 

 

Die letzte größere bekannte Amtshandlung des letzten Gerauer Scharfrichters Hoffmann bestand am 19.04. 1791 im Überführen der Leiche der Gattenmörderin Schickedanz aus Trebur mit dem Schinderkarren von Darmstadt nach Groß-Gerau und dem Verscharren unter dem Gerauer Galgen. Diese entzog sich der Verurteilung im Darmstädter Gefängnis durch Selbstmord. Durch die Schwere der Tat und den Selbstmord kam nach den damaligen noch bestehenden Auffassungen nur diese entehrende „Beerdigung” in Frage. 

Hoffmann „betreute“ gleichzeitig den Frankfurter Scharfrichterbezirk und verzog schließlich dorthin. Die Wasenmeister wurden 1820 durch großherzoglichen Erlass für zunftfähig erklärt. Dadurch wurde künftig die alte fürstliche Regaleinrichtung der „Wasenmeisterei“ zu einem für jedermann zugänglichen Gewerbe. Die für 35 Gemeinden des Kreises Groß -Gerau zuständige Wasenmeisterei verblieb mit Sitz im Gerauer Scharfrichterhaus. Dieses wurde 1835 von dem Großherzoglichen Steuereinnehmer Friedrich Greiffensteinerworben. Nach dem restlosen Niedergang der alten Feudalordnung und der Einführung der Gewerbefreiheit im Zuge der Revolution von 1848 verwandelten sich die fürstlichen Regaleinrichtungen der Wasenmeistereien in private Abdeckerbetriebe.

Original Unterschrift von Johann Jakob Molter,

Scharfrichter zu Groß-Gerau 1692,

Quelle: Heimatspiegel, Groß-Gerau 

vom 15. Juni 1969


Der Groß-Gerauer Richtplatz

Erst mit der Weiterentwicklung des Rechtssystems wurden spezielle Richtplätze eingerichtet. Diese sollten nicht nur der Strafvollziehung dienen, sondern waren gleichzeitig Stätten der Abschreckung. Deshalb wählte man für solche Orte gut sichtbare Stellen aus, wie beispielsweise Hügelkuppen oder die Ränder vielbenutzter Straßen, die durch den Galgen als typisches Wahrzeichen, aber auch durch das Rad auf dem Pfahl weithin erkennnbar waren. Gehängte Personen blieben sowohl als Bestandteil der entehrenden Strafe des Hängens als auch als Maßnahme der Strafvorbeugung solange am Galgen, bis der Leichnam von alleine abfiel. Dies war neben dem eigentlichen Hängen eine Folgestrafe, denn eine Beerdigung auf einem geweihten Friedhof war sowieso ausgeschlossen. Beim Rädern wurden die Delinquenten entweder auf ein Rad gelegt und der Scharfrichter mußte ihnen mit einer Eisenstange in einer vom Gerichte festgelegten Anzahl von Schlägen die Gliedmaßen zerschlagen oder ihnen wurde - während sie auf dem Boden lagen - mit dem Rad als Hiebwerkzeug die Knochen zerschlagen. Hinterher blieben die zerschundenen, in die Radspeichen geflochtenen Körper ebenfalls dem Tod (falls dieser gnadenhalber nicht schon während der Tortur eintrat ) und dem Verwesungsprozess überlassen, wobei das Rad abschließend auf einen Pfahl gesteckt und aufgestellt wurde. Mit dieser weithin sichtbaren Zurschaustellung der Exekutierten wollte man abschrecken. Ein alter aus heidnischen Zeiten stammender Aspekt kam dabei noch hinzu, denn die Körper wurden den Elementen überlassen. Beim Köpfen wurde der Körper dagegen meist sofort an Ort und Stelle vergraben. 

Die Groß-Gerauer Richtstätte lag ebenfalls weithin sichtbar in östlicher Richtung vor der Stadt auf dem heute nicht mehr existierenden Johannisberg, einer vor- und frühgeschichtlichen Begräbnisstätte. Der Johannisberg war eine an ihrer höchsten Stelle 95,5 Meter hohe Sanddüne, die sich auf dem Terrain zwischen der heutigen Darmstädter und Klein-Gerauer Straße einerseits und zwischen der Weingartenstraße und dem Bahndamm andererseits erstreckte. Dieser Hügel wurde 1878/79 und 1897 größtenteils zum Bau des Riedbahndammes abgetragen. Heute sieht man nach der totalen Bebauung des Gebietes u. a. mit dem Wasserturm und beiden Schulkomplexen fast nichts mehr von einer Anhöhe. Die höchste Stelle am Fuße des Wasserturmes beträgt heute knapp 91 Meter und ist damit also 4,5 Meter niedriger. Der Groß-Gerauer Galgen, der ca. vierzig Meter in südöstlicher Richtung vom Wasserturm entfernt stand, war ein sog. „dreischläfriger“ Galgen. Das bedeutet, daß sein Grundriss aus einem gleichschenkligen Dreieck bestand. An den Ecken ragten drei Pfosten empor, die durch Querbalken miteinander verbunden waren. Somit konnten gleichzeitig drei Urteile vollstreckt werden. Dieser Typ war sehr verbreitet, zu sehen sind noch Reste in Pfungstadt und Beerfeldem, bei denen die Pfosten gemauert waren. Zusätzlich wurde auch der einfache, schnell errichtbare sog. ” Soldatengalgen ” bei Deserteuren (daher der Name), Juden und dem fahrenden Volk verwendet. 

 

Da das Groß-Gerauer Landgericht für mehrere Orte zuständig war, musste auch die Gerichtsstätte gemarkungsfrei sein. Der Schatten des Galgens durfte außerdem nicht auf ein Nachbargrundstück fallen. Das Galgengrundstück musste wiederum so groß sein, dass bei Vollstreckungen das Gericht, alle freien Männer der Zent Gerau mit ihrer Pflichtanwesenheit und die Bevölkerung Platz darauf hatten und nicht auf ein angrenzendes Grundstück traten. Die Zent war für die Instandhaltung des Galgens und der sonstigen Ausstattung auf dem Galgenberg verantwortlich. Die Reste des Galgens verkaufte der Groß-Gerauer Magistrat im Jahre 1826. 

An Todesstrafen wurden in Groß-Gerau nachweislich Hängen, Köpfen mit Beil oder Schwert, Rädern und Lebendig vergraben vollzogen. Es gab aber auch spezielle Strafen, wie Wilhelm Hermann Diehl bei einem Skelettfund am Galgenberg feststellen konnte. Im Inneren des Brustkorbes des Skeletts befand sich nämlich ein Klumpen Blei. Es ist überliefert, dass solch äußerst grausame Bestrafung mittels Einflößen flüssigen Bleies bei Juden aber auch bei Geldfälschern, die Bleimünzen herstellten und in Umlauf brachten, angewandt wurden. 

In einem überlieferten Fall wurde in der Gerauer Gemarkung direkt am ehemaligen Tatort Todesurteile durch Erhängen besonders zur Abschreckung vollstreckt. Im Jahre 1673 überfielen 7 Postkutschenräuber in der Nähe der Nikolauspforte auf der Geleitstraße eine der Linien-Postkutschen, die regelmäßig von Frankfurt nach Straßburg bzw. Metz verkehrte. Die gefassten Täter, Reiter des Königmark’schen Regiments, brachen mit dem Überfall den Königs- oder Landfrieden, worauf die Todesstrafe stand. Der Anführer dieser Bande, der übrigens auch ihr unmittelbarer militärischer Vorgesetzter war, konnte fliehen. Der Rittmeister des Regiments konnte vier der Täter aus der Zivilgerichtsbarkeit auslösen, allerdings dürfte ihnen von der Militärjustiz ebenfalls nichts Gutes (Spießrutenlaufen, Erschießung) bevorgestanden haben. So konnte das Darmstädter Gericht nur an zweien die nach dem damals gültigen Strafmaß folgerichtig schwerste Strafe verhängen und ließ sie an Ort und Stelle der Tat ausführen. Wegen der Geleitstraßen in Richtung der Messestadt Frankfurt war unsere waldreiche Region praktisch ein „Aufmarschgebiet” der im Zeitraum zwischen Dreißigjährigem Krieg und der Biedermeierzeit häufig vorkommenden Verbrecherbanden